SPD-Abgeordnete Karin Roth und Peter Hofelich luden zur Informationsfahrt
PETER ZAJONTZ
KREIS GÖPPINGEN. „Janz Bärlin war eene Wolke“, auf der über 30 Politikinteressierte aus dem Kreis Göppingen letzte Woche schwebten. Sie durften für vier Tage in europäischer Geschichte und auch ein wenig an der Macht schnuppern. Manche von ihnen erheischten einen kurzen Blick auf die Bundeskanzlerin, die eine Stippvisite in der Plenarsitzung zum aktuellen Thema der „Situation von Ausländern und Migranten in der Bundesrepublik“ machte. Die Hörer auf der Zuschauertribüne konnten dann die Beiträge der SPD-Ex-Minister Franz Müntefering und Olaf Scholz verfolgen, die wie die junge sozialdemokratische Newcomerin Dagmar Kolbe in einer sehr couragierten Rede vor Feindbildern warnten.
Einer der Höhepunkte für die Schwaben auf der Informationsfahrt ins Zentrum der Preußen, vom Wahlkreisbüro des SPD-Landtagsabgeordneten Peter Hofelich mit organisiert, war die anschließende Besichtigung der gigantischen Glaskuppel über dem Reichstag. Sie durften ihren Abgeordneten richtig „aufs Dach steigen“, um den Überblick auch über Gesamt-Berlin mit seinen 45 auf 38 Kilometern zu bekommen. Im benachbarten, nach dem sozialdemokratischen Nazi-Gegner benannten Paul-Löbe-Haus wurden sie von der Betreuungsabgeordneten für den Kreis Göppingen, MdB Karin Roth, zur ersten Diskussion, auch über Stuttgart 21, in Empfang genommen. Die ehemalige SPD-Senatorin und Staatssekretärin im Verkehrsministerium hatte für MdL Peter Hofelich diese spezielle Reise kulturell und gesellschaftspolitisch Engagierter vermittelt und mit einer Bürgergruppe aus dem Kreis Esslingen zusammengestellt. Sie referierte über ihre Arbeit in der Entwicklungs-Politik, in der sie vor allem in afrikanischen Ländern Ihr Augenmerk auf Frauen und Kinder, deren Gesundheit und Hygiene gerichtet hat. Ein Besuch im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit BMZ ergab nicht viel Neues. Wogegen die Teilnahme „Morgenmagazin“ im ZDF-Hauptstadtstudio allen interessante Einblicke in die Produktion von Live-Sendungen und meist den ersten bundesweiten TV-Auftritt brachte.
Überall, wo der fundiert geschichtskundige Reiseführer Ralf Eden als echter „Bärliner Icke“ die Busgruppe hindirigierte, schwebte ein Hauch großer historischer Ereignisse: von Zeugen der Stadtentwicklung unter Kurfürst Friedrich Wilhelm über den Zusammenschluss von Dörfern und Spree-Siedlungen unter König Friedrich zur Residenz-und Garnisonsstadt und wichtigem Handels- später Industrieplatz im 18. Jahrhundert bis zur unrühmlichen Neuzeit, als die Nationalsozialisten den Hauptstadt-Niedergang in Bomben-Schutt und Asche provozierten.
Die Besucher aus den Kreisen Göppingen und Esslingen querten täglich die Demarkationslinie, die vom „sozialistischen Mauer-Schutzwall“ der DDR in Form von Doppel-Pflasterreihen übrig geblieben ist und auch am Alexanderplatz vorbeiführt, im Moment des Berliners Lieblingskind als „Buddelkiste“ im Herzen der alten-neuen Hauptstadt. Gänsehaut pur an der Bornholmer Straße, in der die Gäste aus dem Filstal durch ein Baustahlgitter einer Restmauer auf den Todesstreifen blicken konnten, auf dem unzählige Republiksflüchtige durch Stacheldraht, Bluthunde und Maschinengewehre am Verlassen des Arbeiter- und Bauernstaates gewaltsam gehindert worden waren. Stummes Verharren und Erschaudern vor ebenso grauenhafter Gewalt zeitigten die teils anklagenden Dokumente nicht nur am Holocaust-Mahnmal, auch bei Besuchen der Gedenkstätten Plötzensee und Deutscher Widerstand. Die Führung durch den ehemaligen Bendlerblock zeigte eindrücklich, dass dieser nicht nur mit dem Namen Stauffenberg verbunden ist, sondern mit großen, den Nazis überlegenen Widersachern wie von Dohnanyi, General Witzleben, Bonhoeffer, Erika von Brockdorff, Helmuth von Moltke, die meist ermordet wurden. SPD-Chef Willy Brandt hatte viele Reden gegen das Vergessen dieser Verbrechen gehalten. Seiner Stiftung war zum Abschluss der Informationsreise eine Führung in einer Ausstellung Unter den Linden zur Geschichte der Bundesrepublik und des Alltags ihrer Bürger gewidmet.
Einen Einblick in fehlende Infrastruktur der Bahn ergab die Rückfahrt im deutschen Prestigezug ICE, als in Hildesheim ein 50-minütiger Zwangsstopp erfolgte. Erst nach dem „Rausschmiss“ von 100 Fahrgästen aus dem völlig überladenen Intercityexpress ließ der entnervte Zugführer die Hightech-Bahn weiterdüsen. Angesichts dieser verbraucherunfreundlichen Aktion beim größten deutschen Dienstleister entbrannte unter den Kommunalpolitikern die Diskussion um Sinn oder Unsinn von Milliardenbeträgen für Stuttgart 21.